Stadtwerke Journal Nr. 43 | September 2022

Herr Gschwentner, der rasante Anstieg der Strompreise ist in aller Munde. Welche Rolle nehmen die Stadtwerke Kufstein dabei ein? Die Stadtwerke Kufstein sind ein regionales Energieversorgungsunternehmen (EVU). Als Netzbetreiber und Energielieferant sichern wir die Stromversorgung für die Menschen und für die Wirtschaft in unserem Versorgungsgebiet. Wir versorgen etwa 15.000 Kundinnen und Kunden mit einem Energiebedarf von ca. 105 Gigawattstunden (GWh). Davon können wir mit unseren Kleinwasserkraftwerken lediglich 12 GWh günstig selbst produzieren. Das heißt, die Stadtwerke Kufstein müssen die zusätzlich benötigte Energie zukaufen? Wir haben mit zwei Kleinkraftwerken in den Stadtteilen Weißach und Sparchen sowie den Photovoltaik-Anlagen – die wir mittlerweile massiv ausbauen – nur begrenzte Produktionsmöglichkeiten. Wie viele andere Stadtwerke in ganz Europa kaufen wir daher die restlichen 93 GWh über die europäischen Strombörsen ein. Die Auswirkungen des Klimawandels, der Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Teuerungen haben die Marktsituation verändert und die Strompreise an den Börsen regelrecht explodieren lassen. Wir reden hier von einer unglaublichen Steigerung von 1.400 Prozent in nur wenigenMonaten! Warum hört man dann immer von „Milliardengewinnen“ bei den Energieunternehmen? Hier ist es wichtig zu unterscheiden: Große Energiekonzerne mit einem hohen Anteil an Eigenproduktion können Energie günstig produzieren und, bedingt durch die aktuelle Marktlage, zu sehr hohen Preisen verkaufen. Über die hohen Gewinne dieser Konzerne wird gerade politisch intensiv diskutiert, Stichwort „Gewinnabschöpfung“. Wir sind als „Zukäufer“, mit wenig Eigenproduktion, von diesen Börsenpreisen abhängig. So haben wir auf der einen Seite seit Wochen und Monaten rasant und exorbitant angestiegene Einkaufspreise. Auf der anderen Seite aber gleich gebliebene, günstige Stromtarife und Verträge für unsere Kundschaft. Das führt dazu, dass die Stadtwerke Kufstein trotz moderater Tariferhöhung im Juli 2022 den Strom weit unter den Einkaufspreisen anbieten. Menschen und Wirtschaft sicher versorgt Wolfgang Gschwentner, Geschäftsführer der Stadtwerke Kufstein GmbH, spricht zum Thema Energiepreise und Zukunft. Seit über 125 Jahren setzen sich die Stadtwerke Kufstein erfolgreich für eine sichere Versorgung der Bürgerinnen und Bürger in Kufstein ein. Von den ersten Anfängen einer Trinkwasser- und Stromversorgung bis hin zu den komplexen Anforderungen für ein funktionierendes Stromnetz, das jedes einzelne Haus und jedenWirtschaftsbetriebmit Energie versorgt. Neben Strom, Wasser oder Fernwärme gehören heute unter anderem auch Kabel-TV und Internetdienste zum modernen Versorgungsauftrag der Stadtwerke Kufstein. Aktuell sorgt besonders ein Thema für viele Emotionen: der Energiepreis. Im Interview berichtet Geschäftsführer der Stadtwerke Kufstein Wolfgang Gschwentner über die momentane Situation der Energiemärkte, die damit verbundenen Preisentwicklungen, beleuchtet Hintergründe und informiert über Auswirkungen für Kundinnen und Kunden. Das heißt also während Energiekonzerne mit hoher Eigenproduktion Gewinne machen, geraten Energieversorger mit geringer Eigenproduktion, wie die Stadtwerke Kufstein, in wirtschaftliche Probleme? Wir können die bisher angefallenen Verluste gerade noch stemmen. Bei den prognostizierten Preisen und dem benötigten Bedarf ist diese Situation auf Dauer für die Stadtwerke Kufstein mit wirtschaftlichen Verlusten von mehreren Millionen Euro behaftet. Daher ist es betriebswirtschaftlich unerlässlich, dass wir auf Verbraucherseite die Preise auf ein entsprechendes Niveau anpassen, um weiterhin als gesundes Unternehmen für die Stadt Kufstein und die Region tätig sein zu können. Es wird oft davon gesprochen, dass das Erdgas den Energiepreis so stark in die Höhe treibt. Was hat das Erdgas mit den Strompreisen zu tun? Alle Energieerzeuger (Wasserkraft, Windkraft, Gas- und Atomenergie) speisen ihre Energie in einen großen, gemeinsamen Pool. Daraus kaufen die Energieversorger ihre benötigte Energie und verkaufen diese weiter an ihre Kundschaft. Für die Errechnung des Energiepreises für Erzeugerinnen bzw. Erzeuger und Käuferinnen bzw. Käufer wurde in der EU die „Merit-Order“ eingeführt. Diese bestimmt, dass das letzte für den täglichen Energiebedarf benötigte Erzeugerkraftwerk den Energiepreis festlegt. Ist das ein Gaskraftwerk, stellt dieses aktuell die Energie zu einem sehr hohen Preis zur Verfügung, da dessen Produktionskosten aufgrund des Gaspreises sehr hoch sind. den teureren, aber notwendigen Strom trotzdem produzieren, muss die Differenz irgendwie abgegolten werden. Eine derartige Änderung kann nur europaweit umgesetzt werden und braucht Zeit. Was heißt das für die Zukunft? Müssen wir uns mit teurer Energie und hohen Strompreisen abfinden? Die derzeitigen Krisen haben weiterhin starke Auswirkungen auf alle Einflussfaktoren der Energieerzeugung. Diese Situation wird vorerst auf absehbare Zeit so bleiben – daher gehe ich davon aus, dass es zu weiteren Preissteigerungen kommen wird, ehe ein massiver Ausbau der günstigeren, erneuerbaren Energien eine Trendwende ermöglicht. Wenn wir mit Wasser-, Wind- und Photovoltaikkraftwerken so viel Energie erzeugen, dass kein einziges Gaskraftwerk mehr gebraucht wird, werden die Energiekosten wieder deutlich sinken. Daher informieren wir aktiv über Themen wie Photovoltaik oder Energiegemeinschaften. Was können Kufsteinerinnen oder Kufsteiner selbst unternehmen, um aktiv Kosten zu sparen? Ein bewusster und sparsamer Umgang mit Ressourcen wird immer wichtiger. Das betrifft besonders die Energie: Jede und jeder kann dazu beitragen. Ob im Unternehmen oder bei sich zu Hause: Investitionen in energiesparende oder erzeugende Anlagen und Technik werden von Vorteil sein. Mit wenigen kleinen Maßnahmen kann der persönliche Energieverbrauch deutlich reduziert werden. Viele sind kostenlos oder mit geringem Aufwand umsetzbar und haben einen direkten Einfluss auf den Energieverbrauch und damit auf die verbrauchsabhängigen Kosten. Die Stadtwerke Kufstein bieten, gemeinsam mit der Energie Tirol, Kundinnen und Kunden umfangreiche Beratungsleistungen zum Thema Energieeffizienz an. Als erste Anlauf- und Servicestelle dient dabei unsere Kundenberatung. Telefonisch oder in persönlichen Gesprächen können Kundinnen und Kunden mit uns über Themen wie Energiekostenausgleich, Stromrechnungen, Verbrauch, Kosten, Effizienz, Photovoltaik, Förderungen, Lieferantenwechsel, oder Energieengpässe sprechen. Vielen Dank für dieses aufschlussreiche Gespräch und die interessanten Einblicke, Herr Gschwentner. Kann man die „Merit-Order“ nicht ändern oder durch ein anderes System ersetzen, um rasch den Strompreis zu senken? Hierzu gibt es europaweit schon intensive Diskussionen. Eine Idee ist, in den Algorithmus des Merit-Order-Systems einzugreifen – wenn etwa zur Berechnung anstelle des teuersten, der Preis des ersten, nicht fossilen Kraftwerks herangezogen würde. Damit Betreibende des Gaskraftwerks Entwicklung des Einkaufspreises für Strom bis zur Jahresmitte 2022. Darstellung: Stadtwerke Kufstein Das Merit-Order-Prinzip: Bedarf, Nachfrage und die teuerste Herstellungsart bestimmen den Preis. Quelle: Österreichische Energieagentur 750 06/19 06/20 06/21 06/22 0 50 100 150 200 250 300 350 400 450 500 550 700 650 600 6 Stadtwerke Journal Stadtwerke Journal 7

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